»Alt zu sein, heißt nicht, stumm zu sein«
Uschi Knihs, Mitglied der »Omas gegen rechts Wetterau«, spricht im Interview mit dieser Zeitung über Gegenaktionen der älteren Frauen und eine neue Definition von Großmutterschaft.
Mit der »Mitte-Studie« untersucht die Friedrich-Ebert-Stiftung alle zwei Jahre die Einstellungen der gesellschaftlichen Mitte. Laut der jüngsten Studie hat die Zahl der Befürworter rechtsextremer Ansichten zugenommen. Demnach teilen acht Prozent und somit jeder zwölfte Erwachsene in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild. Das entspricht einer Steigerung von fast 200 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren. 20 Prozent der Bevölkerung seien einem »Graubereich« zuzuordnen, der weder ein geschlossen rechtsextremes Weltbild noch eine klare demokratische Orientierung habe. Martin Schulz, der Vorsitzende der Stiftung, spricht vom »Vormarsch von Populismus und antidemokratischen und völkischen Positionen«. Auch Uschi Knihs, aktives Mitglied der »Omas gegen rechts Wetterau«, sieht zunehmend rechte Tendenzen in der Gesellschaft. Mit dieser Zeitung spricht sie über Gegenproteste der »Omas« und die ältere Frau als öffentliche politische Kraft.
Wie entstand die Idee zu den »Omas gegen rechts«?
Monika Salzer gründete die Initiative 2017 in Österreich. Anlass waren schockierende rechte Tendenzen in der damaligen Regierungsbildung. Kurze Zeit später schwappte die Bewegung nach Deutschland über. Auch hier geht es darum, was im rechtsradikalen Spektrum auftaucht und diskriminierend, frauenfeindlich, rassistisch, fremdenfeindlich, angstmachend oder populistisch ist. Sprich: All das, was dazu geeignet ist, die Bevölkerung auf eine konservative, rechtsgesteuerte Ideologie einzuschwören und diese Anschauung salonfähig zu machen. Ich stand kurz vor meiner Pensionierung vor der Frage, wie und wo ich meine Fachkompetenzen als ehemalige Förderschullehrerin einbringen kann. So stieß ich auf die »Omas gegen rechts«. Ich habe Kinder und Enkelkinder, die ich unterstützen möchte, in einer demokratischen, rechtsstaatlich organisierten und freien Gesellschaft zu leben.
Sie sind aktives Mitglied der »Omas gegen rechts« im westlichen Wetteraukreis. Ist eine Ausweitung in Richtung Oberhessen geplant?
Momentan sind wir in Wölfersheim, Bad Nauheim, Friedberg, Karben und Bad Vilbel unterwegs. Somit decken wir die ganze Strecke des westlichen Wetteraukreises vom Norden bis in den Süden ab. Künftig ist eine Ausdehnung in Richtung Oberhessen geplant. Startschuss dafür war eine Einladung der Stadt Ortenberg im September zu einem »Kennenlern-Kaffeetrinken« bei der evangelischen Marienkirche Ortenberg. Inspiration zur Einladung waren die Interkulturellen Wochen im Wetteraukreis. Dabei rücken verschiedene Institutionen, Organisationen und Vereine die Themen Vielfalt, Diversität, Offenheit und Demokratie in den Fokus.
In der Einladung hieß es, dass sich »während der zahlreichen Corona-Kundgebungen auch in Ortenberg führende Köpfe der hessischen NPD ganz offen und unbehelligt unter die Demonstrierenden mischten«. Sehen Sie rechte Strömungen auf dem Vormarsch?
Leider ja. Innerhalb Deutschlands bemerken wir mit Sorge, dass der AfD eine große Zustimmung widerfährt. Aber auch außerhalb der Bundesrepublik sind die Rechten auf dem Vormarsch. Denken Sie an Ungarn, Polen, Frankreich oder Italien. Während der Corona-Pandemie organisierten wir Proteste gegen die »Querdenker«. Dabei wollten wir auf zweierlei aufmerksam machen. Zum einen warnten wir vor der Vermengung von an sich positiven Forderungen nach Freiheit mit dem Schüren von Angst vor Impfungen. Zum anderen zeigten wir auf, dass rechte Bewegungen diese Kundgebungen unterwanderten und dadurch Sympathie und Land gewinnen konnten.
Nachdem der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger mit einem antisemitischen Flugblatt in Verbindung gebracht wurde, gehen die Meinungen über seine Verfehlungen auseinander. Kann man rechtes Gedankengut im Lauf der Zeit ablegen?
Aber ja. Es ist immer auch ein Stück weit Schicksal, in welcher Familie und zur welcher Zeit man aufwächst. Da gibt es Beeinflussungen unterschiedlichster Art. Doch irgendwann sind wir alle erwachsen. Dann gilt es, durch Reflexion und Rückschau vergangene Einstellungen und Entscheidungen neu zu bewerten. Das hat Hubert Aiwanger öffentlich nicht gemacht. Stattdessen tat er die Vorwürfe als »dummes Zeug« vor 35 Jahren ab. Er hätte aber einen Schritt weiter gehen müssen, indem er auf der einen Seite einen Ausdruck des Entsetzens und auf der anderen Seite eine Form der Entschuldigung wählt. Letztere hätte mit einer Kontaktaufnahme zur jüdischen Gesellschaft einhergehen können. Wir alle tragen Verantwortung für Worte und Taten – und wir alle sollten uns mit Gedanken und Geschehnissen auseinandersetzen.
Inwiefern helfen die »Omas gegen rechts« bei der Auseinandersetzung mit menschenverachtendem Gedankengut?
Die Oma an sich ist eine ungefährliche, sympathische Figur. Die meisten Menschen mögen ihre Oma. Wenn sie auf die Straße geht, wirkt das nicht besonders angreifend. Aus diesem Grund haben Omas gute Möglichkeiten, Kontakte aufzubauen und Menschen an ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Nach diesem ersten passiven Schritt folgt die zweite aktive Handlung. Die Omas sagen, wer sie sind. Sie stricken nicht nur, sie sind nicht nur leise und lieb, sie schweigen nicht nur. Sie sind Kämpferinnen, sie sind laut und sichtbar, sie gehen auf die Straße und haben eine Meinung. Dennoch bleiben sie stets friedlich.
Die Wetterauer »Omas gegen rechts« sehen »die ältere Frau als öffentliche politische Kraft nicht so ganz im kollektiven Bewusstsein gespeichert«. Was muss sich ändern, damit die ältere Frau in das öffentliche kollektive Bewusstsein rückt?
Die Änderung ist bereits im Gang. Die ältere Frau von heute erlebte die 68er-Bewegung, die auch mit einer Emanzipation der Frauen einherging. Das Gros der heutigen älteren Frauen war berufstätig und kennt seine Kompetenzen. Dennoch gibt es noch keine Gleichberechtigung der Geschlechter. Daher ist es wünschenswert, dass mehr Frauen hinter dem Ofen hervorkommen und auf den Plätzen ihre Meinung kundtun. Bei den »Omas gegen rechts« geht es um eine neue Definition der Großmutterschaft. Die Oma ist ein Synonym für eine aufgeklärte, streitbare, aktive Teilhabe an der Gesellschaft mit der zentralen Aussage: Alt zu sein, heißt nicht, stumm zu sein.
Mit welchen Aktionen gehen die »Omas gegen rechts« an die Öffentlichkeit?
Die Omas greifen aktuelle Themen auf und sprechen intern und extern darüber. So standen in jüngster Zeit die »Querdenker« während der Corona-Pandemie, die Menschen in der Ukraine seit dem russischen Angriffskrieg und die Frauen im Iran seit den dortigen Protesten auf der Agenda. Für letztere rührten wir Rote Beete mit Mehl an. Anschließend bemalten sich die Teilnehmer damit die Hände und hinterließen ihren Abdruck auf einem weißen Tuch. Dieses hängten wir in Friedberg auf. Damit sollte dem Mullah-Regime im Iran gezeigt werden: Ihr habt Blut an euren Händen. Während dieser Aktion kamen zahlreiche Iranerinnen, die sich über die Solidarität freuten. Das war eines meiner schönsten Erlebnisse, seit ich bei den »Omas gegen rechts« mitwirke.
Greifen die »Omas gegen rechts« neben tagesaktuellen Geschehnissen auch persönliche Erlebnisse auf?
Das passiert immer wieder. Eines unserer Mitglieder hat dunkelhäutige Enkelkinder. Diese erzählen beispielsweise, dass öffentliche Busfahrten nicht immer einfach sind. Dementsprechend schreitet diese Oma im Speziellen bei Rassismus ein, denn auch dabei handelt es sich um ein zentrales Thema unserer Bewegung.
Die amerikanische Bürgerrechtsaktivistin und Afroamerikanerin Rosa Parks wurde festgenommen, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Ihr Resümee nach einem lebenslangen Kampf für Gleichberechtigung: Es gibt noch viel zu tun. Teilen Sie diese Ansicht für Deutschland?
Ja sicher. Immer noch denken einige Menschen in Schubladen. Gerade der strukturelle Rassismus, bei dem nicht einzelne Situationen, sondern generelle Strukturen diskriminierend sind, ist nach wie vor präsent. Eine befreundete Nachbarin aus Äthiopien hat sowohl hell- als auch dunkelhäutige Kinder. Da passiert es öfters, dass sie für das Kindermädchen gehalten wird, weil sich Menschen nicht vorstellen können, dass eine dunkelhäutige Frau die leibliche Mutter von hellhäutigen Kindern sein kann. Auch gegen solche Denkweisen treten die »Omas gegen rechts« auf.
Sind neben den Omas auch Opas willkommen?
Aber natürlich, das sind sie. Die Oma ist lediglich ein Symbol für eine zivilgesellschaftliche, überparteiliche Bewegung, die sich gegen antidemokratische und rechte Tendenzen einsetzt. Somit haben wir neben vierfachen Omas und Frauen, die niemals Oma sein werden, auch Opas und jüngere Menschen im Boot. Alle Menschen, denen Respekt und Achtung ihrer Mitmenschen wichtig sind, tragen dazu bei, eine freie Gesellschaft zu fördern.
Uschi Knihs (69) hat Förderpädagogik studiert und war vor ihrer Pensionierung als Förderschullehrerin mit Schwerpunkt für emotionale und soziale Entwicklung tätig. Seit 2018 ist sie aktives Mitglied der »Omas gegen rechts«. Monika Salzer gründete die Bewegung 2017 in Österreich. 2018 organisierten sich auch ältere Frauen in Deutschland als »Omas gegen rechts«. Angelika Ungerer gründete die »Omas gegen rechts Wetterau« im November 2018. Sie sind eine zivilgesellschaftliche, überparteiliche Initiative, die sich in den politischen Diskurs einmischen will. Im Zentrum stehen Aktionen für den Einsatz für eine demokratische, rechtsstaatlich organisierte und freie Gesellschaft. Die »Omas gegen rechts« erheben ihre Stimme zu den Problemen und Fragen der heutigen Zeit. Willkommen sind aber auch Opas, Kinder, Enkelkinder sowie Freundinnen und Freunde. Knihs hat drei erwachsene Kinder und zwei Enkelkinder. VON ANJA CARINA STEVENS
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