Offener Brief der OgR Kiel an Wolfgang Kubicki

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 27.07.2023 gab der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki den öffentlich-rechtlichen Medien eine Mitschuld an den Wahlerfolgen der AfD. Die OMAS GEGEN RECHTS, Regionalgruppe Kiel im Deutschland-Bündnis kritisieren die Äußerungen Kubickis scharf und reagierten am 04.08.23 mit einem Offenen Brief:

Sehr geehrter Herr Kubicki,

wir haben mit einigem Erstaunen Ihre neueste Behauptung wahrgenommen, in der Sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Mitschuld an den Wahlerfolgen der AfD geben.

Natürlich ist es für uns nicht das erste Mal, dass wir den Eindruck haben, Ihre Stimme käme eher aus der rechten Ecke des politischen Spektrums – sei es Ihre Kritik an den Maßnahmen während der Corona Pandemie, sei es die Relativierung von sexueller Belästigung, sei es, dass Sie Politiker der eigenen Koalition mit einem russischen Autokraten vergleichen – Ihre Verantwortung als einer der höchsten Repräsentanten unseres Landes scheint immer wieder hinter Ihrem persönlichen Wunsch nach Aufmerksamkeit zurückzutreten.

So ist es für Sie sicherlich nicht abwegig, in den dumpfen Chor der selbsternannten Querdenker und der Demokratieskeptiker einzustimmen, die immer wieder die Existenzberechtigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten anzweifeln, und deren Abschaffung fordern. Uns empört zutiefst, dass Sie mit Ihrer Behauptung, ARD und ZDF würden ihren Auftrag nicht erfüllen, das Narrativ der AfD bedienen. Statt populistischen Gedröhnes erwarten wir Antworten von Ihnen:

Was genau sollen ARD und ZDF an ihren Programmen ändern?Glauben Sie, dass weniger Hintergrundinformation, dafür aber ein höherer Anteil an Koch- und Kuppelshows Menschen davon abhalten würde, die AfD zu wählen? Wessen Aufgabe ist die Gestaltung der Politik?Sind es die Rundfunkanstalten, welche z.B. die Kinder-Grundsicherung oder simple Maßnahmen zum Klimaschutz wie Tempolimits blockieren? Wer hat wirklich zu „parallelen Öffentlichkeiten “ beigetragen? Es ist nicht zuletzt Ihre Partei, die in den letzten Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen hat, alle Lebensaspekte von der Daseinsvorsorge bis zu den Medien wirtschaftlichen Aspekten und damit dem Gewinnstreben von Konzernen und Investoren zu unterwerfen. Dass es eigene Debattenräume für die AfD gibt, liegt nicht zuletzt daran, dass dieses Primat der Ökonomie zur Verschärfung der prekären Situation vieler Menschen und zu ihrer Verunsicherung beigetragen hat. Ein Ergebnis ist, dass sich viele Menschen von der Politik nicht mehr vertreten fühlen und sich abwenden. Wo ist die Verantwortung der FDP für eine sozial gerechte Politik?

Die AfD zieht ihre Erfolge aus der Verunsicherung von Menschen und aus der Tatsache, dass in unserem Land der Abgrund zwischen Armen und Reichen immer tiefer wird. Gleichzeitig ist es Ihre Partei, die dauerhaft einen Ausgleich der Belastungen zwischen hohen und niedrigen Einkommen verweigert. Eine Vermögenssteuer trüge zum Beispiel zur Finanzierung von Mehrausgaben beim sozialem Wohnungsbau und der Erhöhung des Bürgergeldes bei und wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden.

Kann der private Tweet eines Satirikers die Demokratie gefährden?Mit Sicherheit wissen Sie selbst, dass der typische AfD Wähler mit großer Wahrscheinlichkeit Jan Böhmermann nicht auf Twitter folgt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass dieser Mensch Ihre Einlassungen mitbekommt und sich in der von der AfD propagierten polarisierten Weltsicht bestätigt fühlt. So tragen Sie persönlich zum Erfolg der AfD bei und gefährden die Demokratie, für deren Bewahrung Sie das Mandat haben.

Ihre Stellungnahme zu unseren Fragen würde nicht nur uns sehr interessieren; wir haben und deshalb erlaubt, diesen offenen Brief auch an die Presse und innerhalb unser Initiative öffentlich zu machen.

Mit freundlichen Grüßen OMAS GEGEN RECHTS Deutschland-Bündnis Regionalgruppe Kiel i.A. Marion Förster

Wolfgang Kubickis Antwort

Sehr geehrte Omas gegen rechts,
vielen Dank für die Zusendung Ihres offenen Briefes. Normalerweise antworte ich nicht auf Schreiben, bei denen ich davon ausgehen muss, dass meine Antwort die Empfänger intellektuell überfordert. In Ihrem Falle mache ich aber aus regionaler Verbundenheit eine Ausnahme.
In einem geordneten und gesitteten demokratischen Diskurs – den Sie vermutlich auch meinen pflegen zu wollen – wäre es zunächst einmal sinnvoll, die Fakten zu benennen und Unterstellungen und Unwahrheiten als solche zu definieren. Ich halte nichts von dem antiaufklärerischen Konzept der „alternativen Fakten“.
Und in diesem Zusammenhang wäre es vielleicht etwas sinnvoller gewesen, Sie hätten sich vorher einmal mit meinen politischen Positionen vertraut gemacht, bevor Sie ein solches Schreiben aufsetzen. Dies hätte geholfen, es inhaltlich immerhin auf ein akzeptables unterdurchschnittliches Niveau zu heben. Wie dem auch sei: Die kleine Hilfestellung in Sachen Recherche gebe ich Ihnen jetzt.
Ich habe zu keiner Zeit die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefordert. Vielmehr halte ich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für notwendig in einer vielfältiger werdenden Medienlandschaft – aber nicht in der aktuellen Form. Diese Position vertrete ich schon seit Jahrzehnten. Erst kürzlich habe ich meine Gedanken gemeinsam mit meinem Kollegen Frank Schäffler in der Tageszeitung „Die Welt“ formuliert. Dort findet sich auch die Antwort auf Ihre Frage, was genau ARD und ZDF ändern sollten. (https://www.welt.de/debatte/kommentare/article241813935/Oeffentlich-Rechtliche-ARD-und-ZDF-gehoeren-groesstenteils-privatisiert.html) Es hätte wahrlich nicht viel Aufwand bedurft, diese Position zu eruieren, bevor man sich wie Sie derart aus dem Fenster lehnt.
Dass es bei den Öffentlich-Rechtlichen enormen Veränderungsbedarf gibt, ist keine Querdenker- oder Demokratieskeptiker-Position, sondern wird sogar von WDR-Intendant Tom Burow geteilt (https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/oeffentlich-rechtlicher-rundfunk-tom-buhrow-spricht-ueber-moegliche-fusion-von-ard-und-zdf-a-157d0f13-462f-40b1-b885-1ebd333e87b9). Und auch der ehemalige Intendant des Südwestfunks und Moderator des „Heute Journals“, Peter Voß, geht mit ARD und ZDF in einer aktuellen Auseinandersetzung in der FAZ hart ins Gericht. Dieser stellt in Bezug auf die in Rede stehende Einlassung des vermeintlichen bzw. verhinderten Satirikers Böhmermann überdies folgendes klar: „(…) als ob bei seiner Bekanntheit, die er wesentlich dem ZDF verdankt, irgendeine öffentliche Äußerung von ihm noch privat sein könnte.“ (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/oerr-in-der-kritik-was-ard-und-zdf-sich-leisten-ist-besorgniserregend-19081362.html) Ihre schon an Verzweiflung grenzende Verteidigung der Äußerungen Böhmermanns, von denen sich selbst das ZDF öffentlich distanziert hat, habe ich jedenfalls wahrgenommen.
Selbstverständlich kann man angesichts der genannten kritischen Stimmen weiterhin unbeirrt behaupten, Kritik am ÖRR sei „rechts“. Das kann man intellektuell allerdings nur aushalten, wenn man a) die Wirklichkeit nur noch in homöopathischen Dosen wahrnimmt oder b) alles, was nicht der eigenen Haltung entspricht, als „rechts“ zu deklarieren.
Wenn Sie der Auffassung sind, Sie würden dem demokratischen Diskurs dienen, indem Sie Ihre Anti-Haltung („gegen rechts“) als genügend ansehen, dann kann ich Ihnen nicht helfen. Wer sich nur noch über die Ablehnung von anderen definiert, hat keine eigene Haltung. Wenn es Ihnen wirklich um die Bewahrung unserer Demokratie ginge, müssten Sie vielmehr für einen offenen Diskurs, für Meinungsvielfalt, für das gegenseitige Verstehen, gegen pauschale Vorurteile, gegen Lügen und gegen bodenlose Unterstellungen streiten. Nach Ihrem Schreiben muss ich allerdings davon ausgehen, dass Sie hierzu nicht bereit oder in der Lage sind. Wer es nicht schafft, „rechts“ von „rechtsradikal“, „rechtsextrem“ und „Nazi“ zu unterscheiden, sollte sich besser nicht als Lordsiegelbewahrer der Demokratie aufschwingen.
Gerne können Sie meine Antwort ebenfalls veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Kubicki

Wolfgang Kubicki MdB
Vizepräsident des Deutschen Bundestages
Platz der Republik 1
11011 Berlin

Unsere Entgegnung:

Sehr geehrter Herr Kubicki,

zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich trotz Ihrer verantwortungsvollen Position und Ihres überlegenen Intellekts höchstpersönlich die Zeit genommen haben, die OMAS GEGEN RECHTS zu beleidigen.

Bei nüchterner Betrachtungsweise Ihrer Antwort – zu der Sie sich, wie ich hoffe, auch entschließen können – werden Sie genau wie wir feststellen, dass Sie den offenen Brief nicht sorgfältig gelesen und infolgedessen auch nicht wirklich verstanden haben.

In der Tat war es unser erster Impuls Ihre Antwort unverzüglich und unredigiert an die Öffentlichkeit zu geben. Da aber die OMAS GEGEN RECHTS, bei denen wir uns engagieren, keinerlei Interesse daran haben, zu einer Demontage der parlamentarischen Demokratie (siehe dazu auch die Grundsätze unserer Initiative: https://omasgegenrechts-kiel.de/category/ueber-uns/) und ihrer Repräsentanten beizutragen, wollten wir diesen Schritt noch überdenken. Aus unserer Sicht diskreditieren Sie mit Ihrer Antwort nicht die OMAS GEGEN RECHTS, sondern ausschließlich sich selbst und Ihr Amt.

Wir haben uns ausdrücklich auf eine Äußerung bezogen, die Sie am 27.07.23 im Rahmen eines Interviews mit dem Deutschlandfunk getan haben. Ihre Behauptung, ARD und ZDF würden ihre Aufgaben nicht erfüllen und würden so zum Wahlerfolg der AfD beitragen, ist undifferenziert und schlicht, passt in das AfD-Narrativ und bleibt auch dann falsch, wenn Sie ein paar Monate vorher etwas Differenzierteres oder gar Kluges zu dem Thema gesagt haben.

Sie sind – gern erinnern wir nochmals daran – ein bekannter Politiker und Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Sie müssen damit rechnen, dass auch allzu plakative Äußerungen entsprechend wahrgenommen und bewertet werden. Wer ohnehin dazu neigt, die Verantwortung für die Wirklichkeit auf die Medien zu schieben, wird sich durch Ihre Worte „ARD und ZDF erfüllen ihren Auftrag nicht“ bestätigt fühlen.

Anders verhält es sich mit Jan Böhmermann. Unter uns: Wir fanden, dass der Tweet „Nazis mit Substanz“ gewiss nicht zu seinen Meisterleistungen gehört. Dennoch können wir uns nicht vorstellen, dass ein paar dumme Worte von Böhmermann einen signifikanten Einfluss auf Politik und Wahlverhalten haben. Die Stelle im offenen Brief mit der „an Verzweiflung grenzenden Verteidigung“ Böhmermanns, haben wir leider nicht gefunden. Vielleicht helfen Sie als Kavalier alter Schule ein paar verwirrten alten Damen und zitieren diese?

Wir würden uns freuen, wenn auch Sie zu einem „gesitteten und geordneten Diskurs“ zurückkehren, auf Beleidigungen verzichten und die konkreten Fragen nach der Politik Ihrer Partei beantworten. Sicherlich ist es in emotionaler Hinsicht nicht leicht, dreiste Kritik aus den Reihen des Pöbels zu ertragen, aber auch das gehört, so sehr man es bedauern mag, zur Demokratie.

Dem Veröffentlichen Ihrer Antwort haben Sie zugestimmt; wir werden dies, wenn auch mit den oben geschilderten Bedenken, tun.

Mit freundlichen Grüßen

OMAS GEGEN RECHTS

Regionalgruppe Kiel

Deutschland-Bündnis

Reaktionen

https://www.nzz.ch/international/wolfgang-kubicki-bezeichnet-omas-gegen-rechts-als-intellektuell-ueberfordert-ld.1751159

https://www.focus.de/politik/intellektuell-ueberfordert-kubicki-teilt-heftig-gegen-omas-gegen-rechts-aus_id_201550705.html