Mahnwache der Omas gegen Rechts vor der Bad Nauheimer Synagoge

Ein Bericht der Bad Nauheimer Autorin Andrea Dziemba: „Omas gegen Rechts“ lädt zur Mahnwache vor der Synagoge ein.

Haltung ist gefordert. Eine klare Position gegenüber allem, was auch nur den Anflug von Antisemitismus bedeutet. Antisemitismus ist ein perfides Instrument mit unterschwellig wirkender unheilvoller Kraft. Er bildet das Fundament für Häme, Einschüchterung, Ausgrenzung und letztlich auch für Übergriffe und Gewalt gegenüber unseren jüdischen Mitmenschen.

Antisemitismus nimmt seinen Anfang in achtlos dahingesagten Bemerkungen, dem Reproduzieren von Stereotypen und Klischees, dem Bagatellisieren der real existierenden Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland. Nicht erst als Teilnehmerin einer Mahnwache vor unserer Synagoge ist mir bewusst geworden, wie nachhaltig diese Kräfte wirken. Dass sich Mitglieder der Jüdischen Gemeinde nicht ohne Polizeischutz zum Freitagsgebet treffen können, ist angsteinflößend. Dass wir dies offenbar als alltäglich empfinden, ist ein Armutszeugnis.

Während wir bedenkenlos Angebote der Offenen Kirche nutzen, findet der Gottesdienst der Jüdischen Gemeinde hinter elektronisch gesicherten Gittern und Betonpollern statt. Immer. Als wir vergangenen Freitag in der Gruppe, bestehend aus Erwachsenen und zwei Kindern, vor der Synagoge unsere Mahnwache abhielten, lösten Vorbeifahrende im Tempo gedrosselten Auto eine Mischung aus beklemmendem Misstrauen und erhöhter Wachsamkeit aus. Und das unter den Augen von Senioren, die gegenüber in einer Wohnanlage leben und das Szenario jeden Tag mitansehen müssen: Kameras, Schutzgitter, Polizeiposten. Ist das die Lebensrealität?

Überall in Deutschland gleichen jüdische Schulen und Kitas bewachten Festungen. Sie sind Räume des täglichen Lebens junger Menschen, die im Bewusstsein heranwachsen, dass jederzeit »etwas passieren kann«. Wir können uns nicht vorstellen, wie das diese jungen Menschen prägt.

Der Krieg, der auf beiden Seiten furchtbares Leid anrichten wird, ist nicht der Auslöser für den sich Bahn brechenden Antisemitismus. Er wirkt aber als Brandbeschleuniger. Hat jüdisches Leben in Deutschland keinen geschützten Raum mehr, müssen wir unsere Stimmen erheben. Nicht jeder muss sich Großdemonstrationen anschließen. Solidarität kann auch viel leiser sein. Sie beginnt im Familien-, Bekannten- oder Freundeskreis, wo uns scheinbar gedankenlose Bemerkungen, die »nicht so gemeint waren«, nicht mehr durchgehen dürfen. Denn was, wenn sie eben doch so gemeint sind? Wenn »du Jude« zum gängigen Schimpfwort auf Schulhöfen wird? Was vor Jahren die Luft geschlossener Kneipenhinterzimmer vergiftete, wird jetzt offen herausposaunt und gesellschaftsfähig. Es wird Zeit, den Fuß aus dem Karussell der antisemitischen Gleichgültigkeit zu halten. Wenn an Hauswände jüdischer Bewohner der Davidstern gesprayt wird und alle laufen daran vorbei, was ist das dann: Kunst? Freie Meinungsäußerung? Nein. Es ist der beklemmende und beängstigende Alltag unserer jüdischen Mitmenschen.

Der Hass darf nicht alltäglich werden

Judenhass ist nichts anderes als Menschenhass. Wir können es als Stadtgesellschaft nicht geschehen lassen, dass inmitten unseres bunten Lebens so etwas zur Tagesordnung gehört. Dass Schmierereien oder tätliche Angriffe erst Gedanken und dann Taten werden. Es reicht auch nicht, die Flagge Israels vor dem Rathaus zu hissen. Wir alle müssen jetzt persönlich Flagge zeigen und Dialoge anstoßen.