Die hessischen OMAS reagieren auf den Gesetzentwurf zur Neuregelung des Hessischen Versammlungsfreiheitsgesetz

Zur Demonstration “ Hessisches Versammlungsgesetz STOPPEN“ am Samstag 18.3.23 in Frankfurt hatte das Bündnis „http://hessen-versammlungsgesetz-stoppen.de/“ aufgerufen.
Die Demonstration mit über 700 Teilnehmerinnen war breit und bunt aufgestellt.

Der vorgelegte Gesetzentwurf weist einige Passagen auf, mit denen wir uns nicht einverstanden erklären können. Würde das Gesetz so in Kraft treten,würde unser Versammlungsrecht sehr eingeschränkt werden und uns in einigen Punkten die Möglichkeit des Protestes auf der Strasse nehmen. Deshalb haben wir hessischen OMAS Herrn Minister Beuth, die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im hessischen Landtag und den Innenausschuss angeschrieben.

Gesetz zur Neuregelung des Versammlungsrechts in Hessen Hessisches Versammlungsfreiheitsgesetz

Sehr geehrter Herr Minister Beuth, 

wir OMAS GEGEN RECHTS sind eine überparteiliche, zivilgesellschaftliche Initiative in Deutschland, die sich aus rund 100 unabhängigen Regionalgruppen mit inzwischen über 20.000 Mitgliedern zusammensetzt, darunter selbstverständlich auch etliche in Hessen. Im Rahmen unseres Einstehens für Demokratie und Rechtstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenwürde betätigen wir uns im öffentlichen Raum im Rahmen von Kundgebungen, Mahnwachen, Aufzügen und Infotischen, womit wir uns explizit gegen jede Form von Extremismus – insbesondere dem von Rechts – widersetzen. Wir folgen damit der Aufforderung unseres Bundespräsidenten zu zivilgesellschaftlichem Engagement zum Schutz und Erhalt unserer Demokratie.

Demzufolge haben wir mit großem Interesse Ihren Entwurf zur Neuregelung des Gesetzes zur Versammlungsfreiheit gelesen. Wir OMAS GEGEN RECHTS begrüßen und unterstützen ausdrücklich das im Gesetzesentwurf niedergeschriebene Vorgehen gegen Rechtsextremismus, der in Deutschland als die größte terroristische Gefahr für unsere parlamentarische Demokratie betrachtet und beschrieben wird. 

Dennoch sehen wir bei manchen Punkten der Gesetzesvorlage noch Klärungsbedarf; in Teilen des Gesetzes betrachten wir einen allzu großen Interpretations- und Ermessens-Spielraum seitens der Ordnungsbehörden kritisch. Um dies zu konkretisieren, möchten wir auf einzelne Paragraphen und unsere damit verbundenen Bedenken gerne eingehen.

Zu § 2:

Abs. 1 bestimmt, dass eine Versammlung im Sinne des Gesetzes bereits bei zwei Personen vorliegt, sofern weitere Voraussetzungen gegeben sind.

Dies bedeutet für unsere Organisation, dass z.B. zwei unserer Mitglieder, die in der Öffentlichkeit zusammen Flugblätter verteilen möchten, eine Versammlung mit entsprechendem zeitlichem Vorlauf nach § 12 anmelden müssen. Erfolgt keine vorherige Anmeldung, kann dies bereits ein Verstoß gegen das Versammlungsfreiheitsgesetz sein und als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Entsprechendes gilt etwa für Info-Tische. Da wir schon aus Gründen der persönlichen Sicherheit solche Aktivitäten im Allgemeinen nicht als Einzelpersonen durchführen, wird uns diese Regelung sehr häufig betreffen. Sie bedeutet einen starken organisatorischen Aufwand selbst für kleinere Aktivitäten und ist daher geeignet, Engagement eher zu bremsen als zu ermutigen und damit die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Hinzu kommt, dass unsere personellen Kapazitäten als Regionalgruppe nicht denen großer Organisationen entsprechen. Dagegen erscheint uns das Gefahrenpotential für die öffentliche Sicherheit in solchen Fällen auch ohne vorherige Anmeldung beherrschbar.

Zu § 8:

Nach  Abs. 1 S. 1 Nr. 2 der Vorschrift ist es verboten, Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen oder zur Herbeiführung erheblicher Schäden  an Sachen geeignet und den Umständen nach dazu bestimmt sind, bei Versammlungen mit sich zu führen (…). Nach Abs. 2 wird das Verbot sowie dessen Durchsetzung durch Anordnungen der zuständigen Behörde konkretisiert.

Die OMAS GEGEN RECHTS führen bei Kundgebungen häufig Teppichklopfer mit sich, um selbstironisch Protest ausdrücken zu können. Nun ist wohl nicht zu erwarten, dass die zuständige Behörde diese Geräte als ‚vom Verbot erfasste Gegenstände“ nach § 8 Abs. 2 bezeichnet und entsprechende Anordnungen trifft. Allerdings haben wir schon erlebt, dass selbst harmlosere Gegenstände wie Rucksäcke zu Durchsuchungen und Identitätsfeststellungen führten. Möglicherweise könnten daher selbst Teppichklopfer zu derartigen Maßnahmen durch die Polizei im Vorfeld einer Kundgebung gemäß § 16 führen und damit wiederum die Versammlungsfreiheit beeinträchtigen, ohne dass dies aus Sicherheitsgründen erforderlich wäre.

Zu § 9:

Nach Abs. 1 S. 1 dieser Vorschrift ist es u.a. verboten, in einer Versammlung uniformähnliche Kleidungsstücke zu tragen, wenn dadurch der Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt und eine einschüchternde Wirkung erzeugt wird. Nach Abs. 2 der Vorschrift trifft die zuständige Behörde Anordnungen zur Durchsetzung des Verbots, in denen die vom Verbot erfassten Gegenstände oder Verhaltensweisen bezeichnet sind.

Wir OMAS GEGEN RECHTS tragen bei Kundgebungen häufig Westen mit Aufdruck des Namens unserer Initiative. Würden wir, zusammen mit den mitgeführten Teppichklopfern und zudem deutlich erkennbar als Block auftretend, damit unter das Verbot fallen? Zwar ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass z.B. „Gewerkschaftsüberzieher oder einheitliche T-Shirts (…) in aller Regel weder den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermitteln noch durch diese eine einschüchternde Wirkung erzeugt wird“, aber „in aller Regel“ bedeutet eben, dass es auch andere Einschätzungen geben kann. Insofern gelten die zu § 8 im letzten Satz (Durchsuchungen und Sicherstellungen) geltend gemachten Bedenken entsprechend.

Zu § 12:

Hier halten wir vor allem Abs. 8 der Vorschrift für problematisch.

Nach § 12 Abs. 8 S. 1 hat die Veranstalterin oder der Veranstalter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel der zuständigen Behörde auf deren Aufforderung die persönlichen Daten der vorgesehenen Ordnerinnen und Ordner mitzuteilen, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu besorgen ist, dass von der Versammlung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht.

Die Voraussetzungen für die Pflicht zur Mitteilung der Daten schon im Vorfeld der Versammlung sind vage formuliert. Die befürchtete „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ wird nicht näher eingegrenzt, was angesichts des weiten Interpretationsspielraumes dazu führen dürfte, dass bereits im Vorfeld einer Versammlung Auseinandersetzungen zwischen Behörde und Veranstalter*innen ggf. gerichtlich geklärt werden müssen. Unter Umständen müssen dann Ordner*innen ausgetauscht und wiederum überprüft werden. Der dafür erforderliche auch zeitliche Aufwand kann die Durchführung der Versammlung erschweren, wenn nicht in manchen Fällen sogar verhindern. 

So ist es zum Beispiel bei uns OMAS GEGEN RECHTS oftmals nur kurzfristig und vor Ort möglich, Ordner*innen einzusetzen. Zudem setzt die Ablehnung von Ordner*innen als ungeeignet voraus, dass deren Einsatz die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der Versammlung „unmittelbar“ gefährdet. Hier wird also als Voraussetzung für die Überprüfung ein weiterer Gefahrenbegriff zugrunde gelegt als für die Ablehnung.  

Ferner bleibt unklar, was mit den erhobenen Daten der Ordner und Ordnerinnen geschieht und wann sie gelöscht werden. Dies wird viele Personen abschrecken, sich überhaupt als Ordner*innen zur Verfügung zu stellen, auch wenn sie für diese Aufgabe geeignet sind. Es stellt sich für uns die Frage, ob diese Einschränkung der Versammlungsfreiheit in der vorgesehenen Art und Weise aus Gründen der Sicherheit wirklich erforderlich ist.

Zu § 17:

Die Vorschrift regelt die Befugnis der Polizeibehörden zur Fertigung von Bild- und Tonaufnahmen und Aufzeichnungen im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel. Hier möchten wir uns auf die Problematik der Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen beschränken.

Erlaubt sind nach Abs. 2 auch Übersichtsaufnahmen von Versammlungen und ihrem Umfeld zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes. Voraussetzung ist nach Abs. 2 S. 1 lediglich, dass dies wegen der Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung im Einzelfall erforderlich ist. Das Vorliegen einer Gefahrensituation ist dann erforderlich, wenn eine Übersichtsaufzeichnung vorgenommen werden soll. Verlangt werden in diesem Fall tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme, dass von der Versammlung, von Teilen hiervon oder ihrem Umfeld „erhebliche Gefahren“ für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen.

Hier besteht wieder ein weiter Interpretationsspielraum für die Polizeibehörden. So ist der Begriff der „Größe oder Unübersichtlichkeit der Versammlung“ völlig vage. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es hierzu, dass die Unübersichtlichkeit bereits bei Versammlungen von weniger als 100 Teilnehmern oder Teilnehmerinnen gegeben sein kann, wenn sich diese etwa auf einer größeren Fläche aufteilen. 

Damit werden Übersichtsaufnahmen künftig wohl eher die Regel als die Ausnahme sein. Der Gefahrenbegriff für die Befugnis zur Fertigung von Aufzeichnungen ist nur durch das Erfordernis der „Erheblichkeit“ eingegrenzt, eine konkrete, unmittelbar drohende Gefahr wird nicht verlangt. Zudem weisen Verfassungsrechtler*innen darauf hin, dass es heute technisch keine reinen Übersichtsaufnahmen gäbe, weil Einzelpersonen ohne Weiteres identifiziert werden könnten und somit ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung drohe.

Werden Drohnen eingesetzt, stellt sich für die Versammlungsteilnehmer die Frage, ob es sich um Polizeidrohnen oder womöglich Drohnen politischer Gegner handelt (in unserem Fall möglicherweise von Rechtsradikalen, im Fall von Kundgebungen, an denen auch iranische Frauen teilnehmen, z.B. von Kreisen, die dem iranischen Regime nahestehen). In diesem Fall würden Versammlungsteilnehmer sogar gefährdet. Deshalb wäre es nach unserer Ansicht dringend notwendig, dass bei Einsatz von Drohnen Polizeidrohnen als solche erkennbar sind und der Einsatz anderer unterbunden wird.

Insgesamt sehen wir die Gefahr, dass bei zu weitgehender Überwachung von Versammlungen mit den in § 17 vorgesehenen Mitteln nicht nur gegenüber potentiellen Straftätern eine abschreckende Wirkung erzielt wird, sondern vor allem auch gegenüber friedlichen Bürgerinnen und Bürgern, die eingeschüchtert werden und dann womöglich auf ihr Recht auf Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit verzichten.

Zu § 18:

Diese Vorschrift enthält in Abs. 2 Nr. 1 ein sog. „Vermummungsverbot“, wonach es verboten ist, an einer Versammlung unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilzunehmen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die hoheitliche Feststellung der Identität zu verhindern, oder den Weg zu einer Versammlung in einer solchen Aufmachung zurückzulegen.

Geeignet, die Feststellung der Identität zu verhindern, sind auch Mützen, Kapuzen und Schals, siehe Begründung des Gesetzentwurfs zu § 18 Abs. 2. Für FFP 2-Masken dürfte das gleiche gelten. Ob eine derartige Bekleidung den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, ist sehr interpretationsfähig. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu u.a., die subjektive Zielstellung sei nach den äußeren Umständen festzustellen. In der Praxis wird es darüber immer wieder zu unterschiedlichen Ansichten und Auseinandersetzungen kommen, was Bürger*innen von der Demonstrationsteilnahme in der kalten Jahreszeit oder unter Covid-Bedingungen abhalten kann, zumal § 16 Abs. 2 im Fall eines mutmaßlich bevorstehenden Verstoßes gegen das Vermummungsverbot Identitätsfeststellungen sowie weitere polizei- und ordnungsrechtliche Maßnahmen ermöglicht. Problematisch erscheint die Ausgestaltung des Vermummungsverbots auch in Hinblick auf die Demonstrationsteilnahme politisch Oppositioneller aus Ländern mit repressiven Regimen, die sich nicht gefährden möchten. Auch werden künstlerische Ausdrucksformen, z.B. die Teilnahme an einer Demonstration mit Masken, erschwert, so dass auch hier eine unverhältnismäßige Einschränkung der Versammlungsfreiheit droht.

Unser Fazit:

Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut und im Grundgesetz verankert. Diese Freiheit, die jedem Bürger zukommt, darf nicht durch allzu großen Interpretations- und Handlungsspielraum der Ordnungsbehörden eingeschränkt oder gar verhindert werden. Anstatt die Versammlungsfreiheit und damit bürgerliches Engagement zu stärken, sehen wir in Teilen des Gesetzes eine Tendenz zu Erschwerung, teils sogar zu Vermeidung eines öffentlichen, zivilgesellschaftlichen Engagements.

Wir fordern Sie daher auf, die Gesetzesvorlage nochmals zu überarbeiten, damit die Vorlage dem Begriff der Versammlungsfreiheit auch tatsächlich gerecht wird.

Jutta Shaikh, OMAS GEGEN RECHTS FRANKFURT

stellvertretend für alle nachfolgend genannten Regionalgruppen der OMAS GEGEN RECHTS in Hessen OMAS GEGEN RECHTS Frankfurt OMAS GEGEN RECHTS Fulda OMAS GEGEN RECHTS Gießen OMAS GEGEN RECHTS Hanau & Main-Kinzig-Kreis OMAS GEGEN RECHTS Kassel OMAS GEGEN RECHTS Mörfelden-Walldorf OMAS GEGEN RECHTS Wetterau OMAS GEGEN RECHTS Wiesbaden